Videospiele sind bei Kindern und Jugendlichen eine sehr beliebte Freizeitbeschäftigung. 87% der Zwölf- bis 19-Jährigen in Deutschland spielen digitale Spiele (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2019: 44). In der wichtigsten Bildungsinstitution für Kinder und Jugendliche, der Schule, sind digitale Spiele bis dato aus dem Lehrplan ausgeklammert (vgl. Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung München), werden nur am Rande thematisiert oder sehr verinselt angeboten. Da in der Schule regelmäßig Wettkämpfe, wie zum Beispiel die Bundesjugendspiele im Fach Sport oder Mathe-Olympiaden stattfinden, könnte die Schule auch einen Wettkampf auf digitaler Ebene als E-Sport austragen. Wäre eine flächendeckende, deutschlandweite Integration der Freizeitbeschäftigung Videospielen in das Schulgeschehen sinnhaft?
Zugegeben, E-Sport in die Riege der Schulwettkämpfe aufzunehmen bringt nicht nur Vorteile mit sich. Zunächst wären da strukturelle Hürden, wie teures Equipment und die Notwendigkeit nach einem Raum den die Schüler*innen zum Üben nutzen können. Hinzu kommt ein Internetanschluss mit hoher Bandbreite, ohne Einschränkungen aber mit verlässlichen Jugendschutzmaßnahmen. Dazu gesellen sich die Vorgaben durch den gesetzlichen Jugendschutz hinsichtlich der Altersfreigaben der digitalen Spiele, was die Auswahl erheblich einschränkt. Videospiele sind leider auch heutzutage (noch) nicht frei von Stigmata und können besonders im Schulkontext als eine Ablenkung vom Wesentlichen, nämlich dem Lernen, ausgelegt werden. Betrachtet man dann die internationale E-Sport-Szene sticht das Ungleichgewicht in der Geschlechterverteilung unter den Spieler*innen ins Auge. Frauen sind nach wie vor im E-Sport deutlich unterrepräsentiert, womit es weiblichen Spieler*innen an Vorbildern in diesem Bereich fehlt.
Dagegenhalten kann man jedoch die immer besser werdende Ausstattung der Schulen, nicht zuletzt durch den DigitalPakt Schule, Ansätze wie Bring Your Own Device und das Engagement von Lehrer*innen in diesem jungen Feld. Zudem rücken Videospiele immer mehr in den Mittelpunkt der (deutschen) Gesellschaft und mit einer umfassenden Elternaufklärung könnte Vorurteilen vorgebeugt werden. Andere AGs und freiwillige Aktivitäten in der Schule nehmen ebenfalls Raum ein, negative Auswirkungen auf das Lernverhalten befürchten Eltern hier seltener. Eine Mädchenliga oder -mannschaften, sowie die Nutzung von Smartphones können außerdem die Zugangsbarrieren für Mädchen abbauen, da diese eher in Smartphonespielen verhaftet sind (vgl. Herzog 2018; Klopp 2010: 1; Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2019: 45 f.).
Eignung von E-Sport als Schulwettkampf
Die aufgeführten Argumente zeigen bereits die Diskussionswürdigkeit der Thematik auf. Aus der spiel- und medienpädagogischen Sichtweise kann das Format E-Sport als Schulwettkampf allerdings noch weitere positive Aspekte und Synergieeffekte hervorbringen.
Lebensweltbezug
Digitale Spiele sind ein wesentlicher Bestandteil der Lebenswelt von vielen Kindern und Jugendlichen. E-Sport ist ein Phänomen, welches genau dieser Lebenswelt entspringt. Intra- und Interschulwettkämpfe im E-Sport mit Videospielen, die die Schüler*innen auch in ihrer Freizeit spielen wären eine direkte Übersetzung von privaten Interessen der Jugendlichen in den Schulkontext. Die zu erwartende Motivation bezüglich der Schulwettkämpfe dürfte entsprechend hoch sein. Ein Schulteam könnte von den aktiven Schüler*innen trainiert und organisiert werden. Es ist empfehlenswert diese Dynamik zu unterstützen, da die Schüler*innen meist mehr Grundwissen über den Inhalt und die Mechaniken des Spiels mitbringen, als eine Lehrkraft ohne tiefgründiges Vorwissen. Hier macht es Sinn die Expertise der Kinder und Jugendlichen in ihrer Lebenswelt anzuerkennen und zu nutzen.
Social Skills
Durch Schulwettkämpfe im E-Sport werden diverse Softskills geschult und vertieft. Zunächst müssen die teilnehmenden Schüler*innen sich in einer Mannschaft organisieren. Hierbei können sie Teamgeist und ein Wir-Gefühl entwickeln, sich in einer Gruppe zurechtfinden und möglicherweise sogar eine neue soziale Rolle als sonst in ihrer Gruppe einnehmen. Der dabei entstehende Aushandlungsprozess kann für Jugendliche mit wenig sozialer Anbindung eine neue und wertvolle Erfahrung sein. Zudem werden Leistungsstandards spielerisch sichtbar und durch den gemeinsamen Spielraum entschärft. Als weiterer Punkt lässt sich auch das Sozialverhalten der Kinder und Jugendlichen in digitalen Spielen und im Internet generell schulen. Diese sogenannte Netiquette und der Umgang mit anderen Spieler*innen sind wichtige Bestandteile der Medienerziehung rund um Social Skills.
Schulkontext
Durch die Auseinandersetzung mit der Thematik von Videospielen im schulischen Kontext haben die Lehrer*innen als Pädagog*innen einen Zugang zu den Kindern und Jugendlichen um digitale Erziehung und Wertevermittlung im Internet anzusprechen. Es ist von existentieller Wichtigkeit, dass Kinder und Jugendliche Ansprechpartner*innen haben um ihre Erfahrungen im Internet zu teilen und zu reflektieren. Schüler*innen sollten lernen wie sie sich im Internet verhalten und sich, ihre Privatsphäre und ihre Daten schützen können. Lehrer*innen, die sich gemeinsam mit den Schüler*innen mit Videospielen auseinandersetzen, haben die Möglichkeit ein*e Ansprechpartner*in und Reflexionsinstanz für Themen rund um das Internet und Videospiele zu sein.
Integration
Während in vielen Sportarten eine körperliche Überlegenheit eine große Rolle im Wettkampf spielen kann, weicht der E-Sport davon ab. Da Videospielen am digitalen Endgerät stattfindet, spielen körperliche Unterschiede der Spieler*innen kaum eine Rolle. Es ist dabei nicht wichtig groß oder klein zu sein oder möglichst viel Kraft aufzubringen. Allerdings sind Fähigkeiten wie Stressbewältigung, hohe Konzentration und Resilienz mit Hinblick auf Niederlagen sehr wichtig. Diese Gesichtspunkte sind mit dem besonderen Augenmerk auf Integration sensibel zu betrachten und zu steuern. Alle Spieler*innen, die an einer Schulmeisterschaft im E-Sport teilnehmen möchten können dies ohne eine Benachteiligung aufgrund ihres Alters oder Geschlechtes. Gleiches gilt auch für Spieler*innen mit einer körperlichen Einschränkung. Da in der UN-Behindertenkonvention die Teilhabe an der Gesellschaft, Selbstbestimmung und uneingeschränkte Gleichstellung als zentrale Ziele verankert sind (vgl. Beauftragter der Bundesregierung für Belange von Menschen mit Behinderung 2018: 9 ff.) und E- Sport es durchaus zulässt, wenn nicht sogar fördert, dass Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam spielen, manifestiert sich das Prinzip der Inklusion zu einem Leitgedanken in der E-Sportszene. Die Begegnung im Spiel verläuft zwischen Menschen mit und ohne Einschränkung auf Augenhöhe, da das Spiel im Fokus steht und den Spielfiguren oder dem Spielstil eine (körperliche) Einschränkung der Spieler*innen nicht angesehen werden kann.
Kulturelle Kompetenzen
Durch gemeinsames Videospielen in einem Team können Kompetenzen der kulturellen Bildung gefördert werden (vgl. Wenzlik 2012/2013; OECD 2005). Schüler*innen in E-Sport Teams müssen sich auf verschiedene Arten und Weisen unter Beweis stellen und können so ihre Kompetenzen üben und ausbauen. Entscheidungsfähigkeit, Durchsetzungsvermögen und Fähigkeit zur Selbstreflexion gehören genauso dazu wie die Fähigkeit Konflikte zu lösen.
Medienkompetenz
Durch Schulmeisterschaften im E-Sport können sich Schüler*innen kritisch mit ihrem Medium, dem Videospiel im Allgemeinen, auseinandersetzen und dabei Medienkompetenzen erlangen. Die Lehrkräfte können zu Reflexionsprozessen anstoßen, mit den Kindern und Jugendlichen ihr Medienhandeln unter die Lupe nehmen und so weiter die Kompetenzen der Spieler*innen schulen. Entsprechend kann ganz nebenbei zu einem bewussten Umgang mit Medien und Videospielen beigetragen werden (vgl. Baacke 1997: 98 ff.; Medienberatung NRW 2019).
An Vorbilder anknüpfen
Eine Schulmeisterschaft im E-Sport könnte sich an anderen intra- und interschulischen Veranstaltungen orientieren die bereits existieren. Angelehnt an die Bundesjugendspiele könnten die Schulen flächendeckend E-Sport als Schulmeisterschaft anbieten. In Wettkämpfen mit anderen Schulen ließen sich auch Events wie Jugend trainiert für Olympia als Vorbild heranziehen (vgl. Jugend trainiert für Olympia). Die Wettkämpfe beginnen auf regionaler Ebene und ermitteln anschließend Sieger auf Landes- und Bundesebene. Für die restlichen Schüler*innen der Schule wäre es möglich, durch eine Übertragung im Stil von Public Viewing an der Veranstaltung zu partizipieren und ihre Mannschaft auf diese Art zu unterstützen. Zeitgleich bekommen sie einen niederschwelligen Zugang zur Thematik. Eine Förderung von E-Sport als Schulmeisterschaft, raus aus der Nische, ist aus spiel- und medienpädagogischer Sicht empfehlens- und wünschenswert. Folglich der Appell an Schulen und Lehrer*innen: Geben Sie dem E-Sport in Deutschland einen Platz im Schulgeschehen, Kooperieren und Koordinieren Sie sich. Und auch der Appell an die Politik, die Entwicklung zu unterstützen, sowie Hürden und Barrieren abzubauen. Es ist Zeit für den nächsten Schritt, um neue Möglichkeiten zu eröffnen, Stigmata abzubauen, im internationalen Vergleich nicht hintendran zu bleiben und Kinder und Jugendliche auch in diesem Bereich zu fordern und zu fördern.
Quellenverzeichnis
Baacke, Dieter (1997): Medienpädagogik. Tübingen: Niemeyer.
Beauftragter der Bundesregierung für Belange von Menschen mit Behinderung (Hrsg.) (2018): Die UN-Behindertenrechtskonvention. Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a729-unkonvention.pdf;jsessionid=578A275E062EE06A620B88F8C8B15849?__blob=publicationFile&v=4 (abgerufen am 20.05.20).
Herzog, Paul (2018): League of Girls – Über die Symbiose von Frauen und Gaming, https://www.redbull.com/at-de/league-of-girls (abgerufen am 20.05.20)
Jugend trainiert für Olympia, https://www.jugendtrainiert.com/bundeswettbewerb/jugend- trainiert/ (abgerufen am 20.05.20).
Klopp, Tina (2010): Eine hedonistische Kultur, https://www.zeit.de/digital/games/2010-08/computer-spiele-jugend (abgerufen am 20.05.20).
Medienberatung NRW (2019): Medienkompetenzrahmen NRW, https://medienkompetenzrahmen.nrw/fileadmin/pdf/LVR_ZMB_MKR_Broschuere_2019_06_Final.pdf (abgerufen am 20.05.20).
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hrsg.) (2019): JIM-Studie 2019. Jugend, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19- Jähriger, https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2019/JIM_2019.pdf (abgerufen am 20.05.20).
OECD (2005): Definition und Auswahl von Schlüsselkompetenzen, https://www.oecd.org/pisa/35693281.pdf (abgerufen am 20.05.20).
Staatsinstitut für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB): LehrplanPLUS, https://www.lehrplanplus.bayern.de/ (abgerufen am 20.05.20).
Wenzlik, Alexander (2012/2013): Schlüsselkompetenzen in der Kulturellen Bildung, https://www.kubi-online.de/artikel/schluesselkompetenzen-kulturellen-bildung (abgerufen am 20.05.20).
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